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Der internationale freiwillige Kohlenstoffmarkt und das Übereinkommen von Paris

 

Seit Verabschiedung des Übereinkommens von Paris (ÜvP) im Jahr 2015 haben immer mehr Unternehmen Pläne vorgelegt, wie sie ihrer Verantwortung zur Bekämpfung des Klimawandels gerecht werden wollen. Der freiwillige Kohlenstoffmarkt (engl. Voluntary Carbon Market, VCM) bietet Unternehmen dabei die Möglichkeit, die Reduktion der eigenen Treibhausgasemissionen durch Klimaschutzmaßnahmen außerhalb der Wertschöpfungskette zu ergänzen.

Die meisten Unternehmen werden auf absehbare Zeit Treibhausgasemissionen verursachen. Der Ankauf von Minderungs- oder CO2-Entnahme-Zertifikaten (im Folgenden kurz: Minderungs-Zertifikaten) ist dann notwendig, um die anfallenden Emissionen bilanziell auszugleichen. Im freiwilligen Kohlenstoffmarkt kompensieren Unternehmen, Organisationen oder Einzelpersonen daher freiwillig ihre Emissionen durch den Kauf und die Stilllegung von Minderungs-Zertifikaten.

Dabei hat aus Sicht der Bundesregierung das Vermeiden und Reduzieren von Treibhausgasemissionen Vorrang gegenüber der Kompensation von Emissionen.

Die Nutzung des freiwilligen Kohlenstoffmarktes sollte sich an den Zielen des ÜvP auszurichten, um so einen Beitrag zur globalen Ambitionssteigerung zu leisten und die notwendige Transformation zu Netto-Treibhausgasneutralität voranzubringen. Auf der Angebots- und Nachfrageseite des Marktes sind qualitative Anforderungen zu erfüllen, damit der freiwillige Kohlenstoffmarkt dazu beiträgt, Dekarbonisierung und grünes Wachstum voranzutreiben sowie die Investitionslücke zur Eindämmung des Klimawandels zu mindern. 

In der VCM-Rubrik wird die Funktionsweise des freiwilligen Kohlenstoffmarktes beschrieben sowie Projektentwicklung und der Handel mit Emissionsminderungs-Zertifikaten erläutert. Zudem wird dargelegt wie Unternehmen ihr Engagement auf dem freiwilligen Kohlenstoffmarkt in eine umfassende Klimaschutzstrategie einbetten können und dabei die ökologische und soziale Integrität der Kohlenstoffmarkt-Aktivitäten sichergestellt werden kann. Eine Darstellung zentraler Leitlinien und Regulierungen sowie praktische Umsetzungshilfen runden den Beitrag ab.

Grundlegende Funktionsweise des freiwilligen Marktes

Projektentwicklung

Meist ist der Ausgangspunkt für ein Projekt die Idee für ein Klimaschutzprojekt. Auf Basis der Projektidee erstellt der Projektentwickler eine Projektdokumentation nach den Regeln eines Zertifizierungsstandards. Zertifizierungsstandards können sowohl von privaten als auch öffentlichen Akteuren auf internationaler oder nationaler Ebene verwaltet werden.

Um sicherzustellen, dass das Projekt nach den Regeln des jeweiligen Zertifizierungsstandards konzipiert ist, muss das Projektplanungsdokument von einem externen, vom Zertifizierungsstandard akkreditierten Prüfunternehmen validiert werden. Nach positiver Validierung, die bestätigt, dass das Projektdesign den Bestimmungen des Standards entspricht, wird das Projekt durch den jeweiligen Standard registriert und die Projektdurchführung kann beginnen. Von zentraler Bedeutung ist die Information der im Gastgeberland zuständigen Stellen über das Projekt. Ziel der Bundesregierung ist es, dass keine Aktivitäten umgesetzt werden, über die das Gastgeberland nicht informiert ist.

Während der Projektdurchführung müssen die THG-Emissionen vom Projektdurchführer überwacht (Monitoring), berichtet (Reporting) und von einem unabhängigen Prüfer überprüft (Verification) werden. Neben der Klimawirkung werden bei einigen Zertifizierungsstandards auch die Nachhaltigkeitsbeiträge der Projekte auf diese Weise erfasst. Für den Paris Agreement Crediting Mechanism (PACM) ist dies vorgeschrieben. Die Menge der auszustellenden Emissionsminderungs-Zertifikate wird berechnet, indem die tatsächlich überwachten und geprüften THG-Emissionen des Projekts mit den Referenzfallemissionen (siehe unten), verglichen werden. Auf Grundlage des Verifizierungsberichts eines bestimmten Monitoring-Zeitraums stellt der Zertifizierungsstandard die Minderungs-Zertifikate für die verifizierte Menge in einem Register aus.

 

Der Handel mit Emissionsminderungs-Zertifikaten

Minderungs-Zertifikate sind handelbare Güter und können sowohl auf dem Primär- als auch auf dem Sekundärmarkt erworben werden. Der Primärmarkt bezeichnet die direkte Vermarktung eines Zertifikats zwischen dem Projektentwickler und dem Endnutzer, der das Zertifikat für einen bestimmten Zweck - wie beispielsweise der CO2-Kompensation - stilllegen lässt. Häufig werden die Zertifikate mehrmals auf dem Sekundärmarkt zwischen verschiedenen Intermediären (Trader, Broker und Anbieter) gehandelt. Wenngleich Börsen zunehmend an Bedeutung gewinnen, findet der Handel meist außerbörslich (Over the Counter - OTC) statt. Dieser Handel erfolgt direkt zwischen Käufer und Verkäufer, ohne die Aufsicht einer Börse. Die Verträge sind üblicherweise nicht öffentlich einsehbar, weswegen die Preise für die Zertifikate meist nicht bekannt sind - die Preistransparenz ist somit stark begrenzt. 

Die Preise für die Minderungs-Zertifikate ergeben sich aus dem Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage, wobei Zertifikate aus verschiedenen Projekttypen üblicherweise zu unterschiedlichen Preisen gehandelt werden. So liegen die Preise für naturbasierte Removal-Zertifikate um ein Vielfaches über den Preisen für Zertifikate aus Erneuerbare Energie-Projekten. Auch das Alter der Zertifikate sowie weitere Attribute, wie beispielsweise besonders hohe Nachhaltigkeitsbeiträge der Projekte, beeinflussen das Preisniveau der Minderungs-Zertifikate. Die großen Preisunterschiede spiegeln dabei auch die Qualität wider, die die Käufer mit den verschiedenen Projektkategorien assoziieren.

 

Die Verwendung von Emissionsminderungs-Zertifikaten

Die Nachfrage nach Minderungs-Zertifikaten kommt vor allem von Unternehmen, die diese als Teil ihrer Klimastrategie nutzen wollen. Hier bestehen zwei Möglichkeiten: Der Weg der CO2-Kompensation sieht vor, dass Minderungs-Zertifikate mit der Absicht erworben werden, Restemissionen auszugleichen und bilanzielle Klimaneutralität zu erreichen. Bei dem so genannten Contribution Claim-Ansatz werden Klimaschutzmaßnahmen außerhalb der eigenen Wertschöpfungskette unterstützt, ohne dass es zu einer Verrechnung der erzielten Emissionsminderungen mit den eigenen Emissionen kommt. Für diesen Ansatz müssen allerdings noch die Anreize für den Privatsektor entwickelt werden, um eine Wirkung über philanthropische Motive hinaus zu entfalten zu können.

Unabhängig davon, ob die Minderungs-Zertifikate zur CO2-Kompensation oder im Rahmen des Contribution Claim-Ansatz genutzt werden: Im Zentrum des unternehmerischen Klimaschutzes sollte die Reduktion der Emissionen innerhalb der eigenen Wertschöpfungskette auf Grundlage eines wissenschaftlich fundierten Reduktionspfads stehen. Nicht alle Sektoren können ihre Emissionen jedoch in der gleichen Geschwindigkeit und in gleichem Maße reduzieren. In bestimmten Bereichen wird es auch bei größtmöglicher Reduktion zu Restemissionen kommen.

Standards und Projekte

Prinzipiell zu unterscheiden sind Klimaschutzprojekte, die den Ausstoß an Treibhausgasemissionen direkt reduzieren und solche, die durch den Ausbau von natürlichen (z.B. Wälder, Moore) und technischen Kohlenstoffsenken (z.B. DACCS - Direct Air Carbon Capture and Storage) Treibhausgase aus der Atmosphäre entziehen und speichern.

Zertifizierungsstandards legen die Regeln für die Entwicklung und Umsetzung von Klimaschutzprojekten fest und schreiben unter anderem vor, auf welcher Grundlage deren Klimaschutzwirkung berechnet wird. Zertifizierungsstandards können sowohl von privaten als auch öffentlichen Akteuren auf internationaler oder nationaler Ebene verwaltet werden.

Im freiwilligen Kohlenstoffmarkt dominieren bisher private, selbst regulierte Zertifizierungsstandards, da es bislang keine international abgestimmten und allgemein akzeptierten Regelwerke für die Akteure im VCM gab. Beispiele sind der Gold Standard for the Global Goals (GS4GG - verwaltet von der Gold Standard Foundation) oder der Verified Carbon Standard (VCS - verwaltet von Verra), die jeweils eigene Regelwerke und Kontrollmechanismen entwickelt haben, anhand derer Projekte zertifiziert und Minderungszertifikate erzeugt werden.

Artikel 6 des ÜvP bietet den Vertragsstaaten nun unter anderem die Möglichkeit, über einen multilateralen Mechanismus (Artikel 6.4), Emissionsminderungs-Zertifikate zu transferieren. Auch Unternehmen erhalten über den Artikel 6.4 einen verlässlichen, vom ÜvP regulierten Zugang zum Kohlenstoffmarkt. Durch die Verhandlungsergebnisse auf der COP29 in Baku können die Marktmechanismen des ÜvP nunmehr in die Nutzungsphase übergehen. Artikel 6.4-Zertifikate werden ab 2025 sukzessive auf dem Markt erhältlich sein. Ziel der Bundesregierung ist es, dass möglichst alle internationalen Marktaktivitäten des freiwilligen Kohlenstoffmarktes unter Artikel 6.4 registriert werden, um Transparenz und Qualität im globalen Kohlenstoffmarkt sicherzustellen.

Innerhalb der EU trat außerdem im Dezember 2024 die Carbon Removals and Carbon Farming (CRCF) Regulation in Kraft. Diese bietet einen EU Standard, um CO2-Entnahmen einheitlich zu zertifizieren. Die darin enthaltenen Regularien, Qualitätskriterien und Vorgaben zum MRV sollen Greenwashing vorbeugen und können auch von Unternehmen bei der Umsetzung ihrer Klimaschutzstrategie genutzt werden. Alle Klimaschutzwirkungen, die unter diesem Framework erzielt werden, sollen dem NDC der EU gutgeschrieben werden und können nicht den NDCs Dritter oder internationalen Compliance Schemen angerechnet werden.

 

Artikel 6.4 als Quelle von Minderungs-Zertifikaten

Mit Artikel 6.4 des Übereinkommens von Paris wurde ein neuer marktbasierter Mechanismus geschaffen, der Paris Agreement Crediting Mechanism (PACM). 

Der Mechanismus wird von dem Artikel 6.4 Aufsichtsgremium (Supervisory Body of the Article 6.4 Mechanism, SBM) zentral überwacht. Der SBM legt fest, welche Methoden bei der Projektentwicklung und -umsetzung angewendet werden können, er akkreditiert die für die Validierung und Verifizierung zuständigen Prüforganisationen, ist für die Registrierung der Projekte zuständig und stellt bei erfolgreicher Projektumsetzung die Minderungs-Zertifikate aus. 

Durch die Einbettung des PACM in die Struktur des Übereinkommens von Paris soll die Einhaltung von Regeln und Standards gewährleistet und die Qualität der ausgestellten Minderungs-Zertifikate sichergestellt werden. Auf der UN-Klimakonferenz in Glasgow 2021 wurden allgemein bindende Regeln, Vorgehen und Verfahren für die Durchführung von Klimaschutzprojekten unter dem Mechanismus beschlossen. Diese wurden auf der Klimakonferenz von Baku 2024 konkretisiert, sodass nun die Nutzungsphase von Artikel 6 beginnen kann. 

Schutzvorschriften und Co-Benefits
Schutzvorschriften und Co-Benefits: Die soziale und ökologische Dimension
Im Rahmen des PACM muss nachgewiesen werden, dass Projekte in ihren Wirkungen über die reine Minderung von Treibhausgasen hinausgehen und einen zusätzlichen Mehrwert für die nachhaltige Entwicklung des Implementierungslandes (‚Co-Benefits‘) erzielen. Neben ökologischen Aspekten (Schutz von Umweltmedien wie Luft, Boden oder Wasser) sind hier beispielhaft der Gesundheitsschutz oder Arbeitsplatzeffekte zu nennen. Durch Schutzvorschriften (‚Safeguards‘) wird sichergestellt, dass negative Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung vermieden werden und keine sonstigen Umweltschäden verursacht werden (‚do no harm‘), indem Umwelt- und Sozialstandards genutzt und entsprechende Management-Systeme etabliert werden. Hierzu kommt ein unabhängiger Beschwerdemechanismus, der bei negativen sozialen und ökologischen Auswirkungen einer Minderungsaktivität greifen soll.

 

Eine Besonderheit des Art. 6.4 Mechanismus ist zudem das Ziel der Einbindung nicht-staatlicher Akteure, wie lokalen Gemeinschaften, sowie sein Beitrag zum globalen Klimaschutz. Um sicherzustellen, dass der Mechanismus einen Beitrag zur Minderung der globalen Treibhausgase leistet, muss beim ersten Transfer der ausgestellten Minderungs-Zertifikate ein Anteil von 2% dieser Zertifikate gelöscht werden. Darüber hinaus wird ein Beitrag für von dem Klimawandel betroffener vulnerabler Staaten durch die Finanzierung des globalen Anpassungsfonds geleistet.

Der PACM sieht die Ausstellung von zwei unterschiedlichen Typen von Minderungs-Zertifikaten vor: autorisierten Emissionsreduktionen zum internationalen Transfer sowie solche, die nicht für den internationalen Transfer autorisiert werden und dem Klimaschutzziel des Gastgeberlands angerechnet werden können. 

Für die Nutzung der für den internationalen Transfer autorisierten A6.4ERs bestehen drei Möglichkeiten:

  • die Verwendung durch einen Vertragsstaat zur Erfüllung seines NDC
  • die Erfüllung verpflichtender Ziele im Rahmen eines anderen internationalen Klimaschutzprogramms, wie z.B. CORSIA
  • andere Nutzungsformen, wie z.B. solche zur Erfüllung freiwilliger Klimaschutzziele

Unabhängig von der Nutzungsform besteht für das Gastgeberland die Verpflichtung, für das autorisierte Klimaschutzzertifikat so genannte Corresponding Adjustments (CAs) durchzuführen. Diese Minderungs-Zertifikate tragen damit nicht zum NDC des Gastgeberlandes bei, wodurch eine doppelte Inanspruchnahme der Zertifikate vermieden wird. Autorisierte A6.4ERs sind damit in besonderem Maße für die CO2-Kompensation geeignet. [ siehe Seiteninhalt: Die Problematik der Doppelten Inanspruchnahme im Rahmen des VCM ]

Neben autorisierten A6.4ERs können unter dem PACM auch Minderungs-Zertifikate ausgestellt werden, die nicht für den internationalen Transfer autorisiert wurden und demnach keine CAs nach sich ziehen. Diese so genannten mitigation contribution A6.4ERs tragen zum NDC des Gastgeberlandes bei.

Ab 2025 werden die sukzessive neuen durch Artikel 6.4 zertifizierten Minderungs-Zertifikate erhältlich sein. Die Bundesregierung strebt an, dass möglichst alle internationalen Marktaktivitäten des freiwilligen Kohlenstoffmarktes unter Artikel 6.4 registriert werden (internationales UN-Register), um Transparenz und Qualität im globalen Kohlenstoffmarkt sicherzustellen. 

Das Übereinkommen von Paris und sein Paradigmenwechsel

Im Übereinkommen von Paris haben sich alle Staaten dazu verpflichtet, nationale Klimaschutzbeiträge (Nationally Determined Contributions - NDCs) zu verfolgen und Maßnahmen umzusetzen, die dazu beitragen, die globale Erderwärmung auf maximal 2 Grad, besser 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Das Übereinkommen von Paris ist völkerrechtlich bindend und hat globale Reichweite. Das Übereinkommen markiert einen Wendepunkt in der internationalen Klimapolitik und hat die Rahmenbedingungen der marktbasierten Kooperation, auch für den freiwilligen Kohlenstoffmarkt, maßgeblich verändert. Dazu beigetragen haben insbesondere der transformative Anspruch des Übereinkommens sowie die universelle Reichweite: Unter Artikel 6 ermöglicht das Übereinkommen den Staaten, bei der Umsetzung ihrer NDCs zusammenzuarbeiten, unter anderem durch Kooperationsmechanismen für marktbasierten Klimaschutz. Artikel 6.2 regelt die direkte zwischenstaatliche Kooperation und Artikel 6.4 beschreibt einen neuen Kreditierungsmechanismus, den Paris Agreement Crediting Mechanism, PACM (siehe: Artikel 6.4 als Quelle für Minderungs-Zertifikate). Artikel 6.8 sieht ergebnisorientierte Finanzierung von Klimaschutzprojekten ohne Ausstellung von Zertifikaten vor und zählt daher nicht zu den marktbasierten Instrumenten des ÜvP.

Ein zentrales Merkmal des Übereinkommens von Paris, welches einen grundlegenden Wandel für die internationale Klimapolitik im Allgemeinen und den globalen Kohlenstoffmarkt im Besonderen nach sich zieht, ist die universelle Reichweite des Übereinkommens: Es verpflichtet erstmals alle Vertragsstaaten zum Klimaschutz und zur Einreichung eines nationalen Klimaschutzziels (Nationally Determined Contribution, NDC) – auch Entwicklungsländer. Diese universelle Reichweite unterscheidet das Übereinkommen von Paris grundlegend von seinem Vorgänger, dem Kyoto-Protokoll.

Im Kyoto-Protokoll waren lediglich Emissionsreduktionsziele für Industriestaaten vorgesehen. Dadurch war ein Großteil der Weltwirtschaft und die verbundenen Emissionen in dieser Hinsicht unreguliert (Uncapped Environment).

In der Vergangenheit stellten im Rahmen dieses Uncapped Environment Minderungspotentiale in Nicht-Industrieländern die Hauptquelle von Minderungs-Zertifikaten für den freiwilligen Kohlenstoffmarkt dar. Für Staaten ohne international bindende Minderungsziele war es besonders attraktiv, als Gastgeber von Klimaschutzprojekten zu fungieren. Denn das Gastgeberland profitierte in vielfacher Hinsicht von den Investitionen auf seinem Territorium, etwa hinsichtlich des Technologietransfers, Arbeitsmarkteffekten oder weiteren Nachhaltigkeitswirkungen, die mit den meisten Klimaschutzprojekten einhergehen. Zugleich konnte sich der Export der CO2-Minderungen nicht negativ auf die Umsetzung nationaler Klimaziele auswirken, da die Länder hierzu vertraglich nicht verpflichtet waren. Diese Situation hat sich im Rahmen des Übereinkommens von Paris grundlegend geändert, da nun auch ehemalige Gastgeberländer dazu verpflichtet sind, NDCs zu entwickeln und zu kommunizieren.

Um die Temperaturziele zu erreichen, sieht das Übereinkommen von Paris zudem vor, dass die Vertragsstaaten ihre jeweiligen selbstgesteckten NDCs alle fünf Jahre neu aufstellen. Dabei dürfen diese nicht hinter die bis dahin geltenden Ziele zurückfallen und sollen die größtmögliche Ambition widerspiegeln. Diese Ambitionssteigerung stellt ein grundlegendes Qualitätskriterium für den zwischenstaatlichen Kohlenstoffmarkt unter Artikel 6, aber auch für den freiwilligen Kohlenstoffmarkt dar. Die entscheidende Frage ist, ob eine bestimmte Maßnahme auf dem Kohlenstoffmarkt zusätzlich ist: Es gilt vor dem Hintergrund der dynamischen NDCs sicherzustellen, dass ein Klimaschutzprojekt über das hinausgeht, was der Staat, in dem das Projekt stattfindet, nach seiner größtmöglichen Ambition nicht ohnehin umsetzen müsste.

Die Problematik der Doppelten Inanspruchnahme im Rahmen des VCM

Das Übereinkommen von Paris verpflichtet alle Staaten dazu, sich nationale Klimaschutzziele zu setzen und Maßnahmen umzusetzen, die zur Erfüllung dieser Ziele beitragen. Wird nun in einem Land ein Klimaschutzprojekt durchgeführt, verringert dieses Projekt die Treibhausgasemissionen des Landes und trägt so zur Umsetzung des nationalen Klimaschutzziels bei. Möchte zugleich ein Unternehmen die erzeugten Klimaschutzzertifikate zur Umsetzung seines Klimaneutralitätsziels verwenden, würde die Emissionsreduktion zweimal genutzt. Deshalb stellt sich für den freiwilligen Markt die Frage der doppelten Inanspruchnahme: Kann der von dem Projekt erzielte Klimaschutzeffekt sowohl von dem Land als auch von dem Unternehmen beansprucht werden? Oder sollte eine solche Doppelzählung durch eine robuste Verrechnung der Emissionsminderungen unterbunden werden?

Die verschiedenen Formen der Doppelzählung

Eine Doppelzählung liegt vor, wenn eine einzelne Emissionsminderung (bzw. eine CO2-Entnahme aus der Atmosphäre) mehr als einmal auf die Erreichung von Minderungszusagen oder finanziellen Zusagen zum Zweck des Klimaschutzes angerechnet wird. In der Regel werden drei verschiedene Formen der Doppelzählung unterschieden: 

  • Eine Doppelte Ausschüttung (double issuance) liegt vor, wenn eine Emissionsreduktion zur Ausstellung von mehr als einem Minderungs-Zertifikat führt.
  • Von Doppelter Nutzung (double use) wird gesprochen, wenn ein Minderungs-Zertifikat zweimal zur Umsetzung von Minderungszielen verwendet wird.
  • Der Begriff Doppelte Inanspruchnahme (double claiming) beschreibt eine Situation, in der zwei Akteure (Staaten oder auch Unternehmen) dieselbe Emissionsreduktion für die Erreichung von Minderungszielen geltend machen: einmal von dem Unternehmen oder Staat, der das Minderungs-Zertifikat zur Zielerfüllung nutzt, und einmal von dem Gastgeberland, in dessen Inventar die entsprechende Emissionsminderung auftaucht und somit zur NDC-Umsetzung beiträgt. 

 

Die doppelte Inanspruchnahme von Emissionsreduktionen ist jene Form der Doppelzählung, die in den Verhandlungen zu Artikel 6 und in den Diskussionen zur Zukunft des freiwilligen Kohlenstoffmarkts im Mittelpunkt steht.

Unter dem internationalen Marktmechanismus nach Artikel 6.4 ÜvP wird es neben Einheiten mit corresponding adjustments auch Zertifikate ohne diese Anpassungen geben. Im Beschluss der Klimakonferenz in Sharm-el Sheik im Dezember 2022 wurden letztere nun als „mitigation contribution A6.4ER“ bezeichnet (das bedeutet, dass die Emissionsminderung zur NDC-Implementierung im Projektland beiträgt und von diesem Land an die UN berichtet wird).

Damit räumt die internationale Ebene ein, dass es zwei unterschiedliche Typen von Minderungs-Zertifikaten geben kann und eröffnet auch für den freiwilligen Markt die Möglichkeit, transparent und wahrheitsgemäß über den Verbleib des Klimaeffekts der Aktivität zu berichten. 

Einbettung in die Unternehmens-Klimastrategie

Mit der sich intensivierenden Klimakrise formulieren viele Unternehmen eigene Klimaziele und Nachhaltigkeitsstrategien. Unternehmen wollen ihrer Verantwortung gerecht werden, um aktiv zur Lösung der Klimakrise und dem Erreichen der Ziele des Übereinkommens von Paris beizutragen.

Gemäß der Minderungshierarchie, also erst dem Vermeiden von Emissionen, dann das Reduzieren bestehender Emissionen und zuletzt die Unterstützung von externem Klimaschutz, sollte im Zentrum von unternehmerischem Klimaschutz das Einsparen von Emissionen entlang der eigenen Wertschöpfungskette stehen. Grundlage für eine robuste Klimaschutzstrategie und einen Plan, wie und wann ein Unternehmen ein bestimmtes Klimaziel erreichen kann, ist die Treibhausgas-Bilanzierung. Sie dient als Referenzpunkt bei der Festlegung von Klimazielen. Hierzu bietet sich die Nutzung des GHG Protocol an, einem der meistgenutzten Standards zur Berechnung und Berichterstattung unternehmens-bezogener Treibhausgasemissionen.

Im letzten Schritt der Minderungshierarchie können Minderungs-Zertifikate auf dem freiwilligen Kohlenstoffmarkt erworben werden. Es können prinzipiell zwei verschiedene Modelle zur Nutzung von Minderungs-Zertifikaten im Rahmen der Klimastrategie unterschieden werden:  

 

1. Klima-Claim mit CO2-Kompensationszertifikaten

Bei der CO2-Kompensation werden Minderungs-Zertifikate mit der Absicht erworben, Restemissionen auszugleichen und bilanzielle Klimaneutralität zu erreichen.

 

2. Klima-Claim mit Contribution-Zertifikaten

Bei diesem Ansatz werden Klimaschutzmaßnahmen außerhalb der eigenen Wertschöpfungskette unterstützt, ohne dass es zu einer Verrechnung der hierdurch erzielten Emissionsminderungen mit den eigenen Emissionen kommt.

 

Wie die Nutzung beider Ansätze in die Klimastrategie eines Unternehmens eingebettet werden kann, wird anhand der Netto-Null-Strategie eines Unternehmens deutlich: Ein Unternehmen setzt sich ein wissenschaftlich fundiertes Netto-Null-Ziel für ein bestimmtes Zieljahr (bspw. 2035), indem es sich auf die Reduktion seiner Emissionen bspw. um 90% im Vergleich zum Referenzjahr verpflichtet. Um dieses Ziel zu erreichen, verfolgt das Unternehmen einen Minderungspfad, der die schrittweise Reduktion aller direkten und indirekten Emissionen des Unternehmens vorsieht. Bei Erreichen des Netto-Null-Ziels werden bei den meisten Unternehmen weiterhin Emissionen anfallen, die technisch oder auch wirtschaftlich nicht vermeidbar sind. Diese nicht vermeidbaren Emissionen werden im Zieljahr und im Anschluss ausgeglichen. Die Science Based Targets initiative (SBTi, siehe Box) schreibt hierfür die Neutralisation durch permanente CO2-Entnahmen vor.

Neben dieser besonderen Form der CO2-Kompensation im Zieljahr besteht für die Unternehmen bereits auf dem Weg hin zur Erreichung ihres Netto-Null-Ziels die Möglichkeit, Klimaschutz außerhalb ihrer Wertschöpfungskette zu unterstützen. Dies kann entweder durch CO2-Kompensation (mit Verrechnung der Emissionen) oder im Rahmen von Contribution Claims (ohne Verrechnung der Emissionen) erfolgen. 

Schutzvorschriften und Co-Benefits
Science Based Targets Initiative (SBTi)
Unternehmen, die auf integre Art und Weise Minderungs-Zertifikate nutzen wollen, empfiehlt die Bundesregierung im ersten Schritt wissenschaftsbasierte, robuste, transparente und belegbare Klimaneutralitätspläne bzw. unternehmerische Klimaschutzstrategien inkl. einer transparenten Offenlegung der Emissionen in der eigenen Wertschöpfungskette vorzulegen. Empfehlenswert ist daher eine klare, wissenschaftlich fundierte Minderungsstrategie, die im Einklang mit dem 1,5-Grad-Ziel steht. Hierzu hat sich hier die Science Based Target initative (SBTi) etabliert, welche einen Standard etabliert hat, der weltweit als Referenz betrachtet wird. SBTi wird von einem Zusammenschluss verschiedener Institutionen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Nichtregierungsorganisationen getragen. Bisher haben sich weltweit mehrere tausend Unternehmen ein von der SBTi verifiziertes wissenschaftlich fundiertes Reduktionsziel gesetzt, welches mit den Zielen des Übereinkommens von Paris kompatibel ist. Davon sind die meisten mittelfristige Ziele, während derzeit gut 500 Unternehmen ein nach den Vorgaben der SBTi entwickeltes Net-Zero-Ziel aufweisen.

Der freiwillige Kohlenstoffmarkt in der Kritik

In jüngerer Vergangenheit wurden vermehrt Zweifel an der Glaubwürdigkeit des freiwilligen Kohlenstoffmarkts geäußert und Unternehmen, die ihre Klimaziele mit Hilfe von Minderungs-Zertifikaten erreichen wollen, sahen sich mit öffentlicher Kritik konfrontiert. Die Kritik entzündete sich insbesondere an mangelnder Qualität der von den Unternehmen genutzten Zertifikate, aber auch an der Verwendung potentiell irreführender Werbeaussagen sowie an der fehlenden Transparenz des Marktes.

Während nicht alle Presseberichte den freiwilligen Kohlenstoffmarkt in seiner Gesamtheit erfassten, etwa hinsichtlich verschiedener Projekttypen oder der Vielfalt der Zertifizierungsstandards, sind dennoch klare Mängel an der Robustheit der Methoden der freiwilligen Standards insbesondere im Forstbereich deutlich geworden. Klimaschutzaussagen von Unternehmen müssen auf einer robusten Klimaschutzstrategie fußen und die Nutzung von Minderungs-Zertifikaten auf qualitativ hochwertige Projekte ausgerichtet sein. Transparenz und Nachvollziehbarkeit sind dabei essentiell. Im Folgenden werden zentrale Aspekte in dieser Hinsicht näher erläutert.

Qualität der Minderungs-Zertifikate

Um eine hohe Integrität im VCM sicherzustellen, wird eine robuste Marktinfrastruktur benötigt, die eine hohe Umweltintegrität sowie Ambitionssteigerung unter Wahrung der nachhaltigen Entwicklung auf Seiten der Gastgeberländer sicherstellt. Die Bundesregierung setzt sich daher dafür ein, dass auch die internationalen Marktaktivitäten des freiwilligen Kohlenstoffmarktes unter Artikel 6.4 registriert werden, um Transparenz und Qualität im globalen Kohlenstoffmarkt zu gewährleisten und die Transformation in den Implementierungsländern voranzutreiben.

Entscheidend für die Integrität auf der Angebotsseite ist, dass die Minderungs-Zertifikate aus einem qualitativ hochwertigen Zertifizierungssystem stammen. Dieses muss folgende Punkte sicherstellen:

  • Robuste und zuverlässige Methoden zur Berechnung der erzielten Emissionsminderungen sowie der Zusätzlichkeit der Maßnahme. Es muss eine transparente, realistische und konservative Baseline zugrunde gelegt werden, sodass eine Überschätzung der Minderungen unterbleibt beim Vergleich mit dem Status-Quo unter Einbeziehung des jeweiligen NDCs
  • Vermeidung einer doppelten Inanspruchnahme (siehe oben)
  • Bei so genannten Senkenprojekten (z.B. Pflanzung eines Walds, der Emissionen bindet) muss die Permanenz der Einlagerung von Emissionen sichergestellt werden; des Weiteren ist bei natürlichen Senken die ökologische Integrität zur Wiederherstellung von naturnahen Waldlandschaften und der Schutz von Biodiversität zu berücksichtigen und zu stärken.

 

Schutzvorschriften und Co-Benefits
Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards und Nachhaltigkeitswirkungen
Ferner muss sichergestellt sein, dass die implementierten Projekte sich nicht negativ auf die lokale Bevölkerung auswirken oder sonstige Umweltschäden verursachen (‚do no harm‘), indem Umwelt- und Sozialstandards genutzt und entsprechende Management-Systeme etabliert werden. Positive Beiträge zur nachhaltigen Entwicklung in den Gastgeberländern bilden ein zusätzliches Qualitätsniveau eines Projektes ab. Für Artikel 6.4-Projekte ist in diesem Zusammenhang das ‚Sustainable Development Tool‘ verpflichtend, welches sowohl Schutzvorschriften enthält als auch Nachhaltigkeitswirkungen messbar und berichtbar macht. Schließlich sollten Projekte so genannte Benefit Sharing-Mechanismen (Nutzenaufteilung) beinhalten. Damit wird sichergestellt, dass und in welcher Form die positiven Auswirkungen von Klimaschutzprojekten nicht nur den Projektträgern zugutekommen, sondern auch den lokalen Gemeinschaften und Ländern, in denen die Projekte durchgeführt werden.

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